Zeitatmen, Caecilia Anderhub
Unter dem Titel Zeitatmen versammelt sich eine offene Gruppe von Bildern, die seit Beginn der künstlerischen Zusammenarbeit von Susanne und Werner Haas entstanden sind. Im Jahr 2008 beschloss das in seiner künstlerischen Herkunft ungleiche Paar den Versuch der Synthese von Malerei und Drucktechnik.
So haben wir es nun weder mit Malerei zu tun noch mit Serigraphien – und doch mit von beidem. Einerseits war da nämlich ein Pinsel kaum im Spiel und andererseits gibt es keine Mehrfachauflagen.
Und doch bestehen die Wege zu dem, was uns hier als Zeitatmen begegnet, mithin sowohl aus malerischen als auch aus drucktechnischen Erfahrungen und Entscheiden. Denn von der Auswahl des fotografischen Motivs über die Bearbeitung zum Bildmotiv, die Definition des Formats, die chromatische Grundierung der Leinwand und die Schritte der Umsetzung ins Sieb bis zum Mischen der einzelnen Farbmittel für die aufeinander folgenden Druckvorgänge hat jedes einzelne Bild seine individuelle Geschichte, die sich nicht repetieren lässt. Jedes ist also ein Bild ohne seinesgleichen. Dies gilt in technischer Hinsicht, aber mehr noch im Blick auf die ästhetische Identität aufgrund der jeweiligen Farbigkeit und dezent eingesetzter Farbmaterialeffekte. Für jeden Druckvorgang führt das Team eine spezifische Farbqualität herbei aus Tönen und Materialien, und erreicht durch zwei oder drei sukzessive Druckvorgänge die Tonalität der jeweiligen Polychromie.Dabei lassen sich Werner und Susanne Haas im Experiment auch gern überraschen.
Der Siebdruck ist nicht zuletzt wegen seiner Vielfalt an technischen Möglichkeiten und materialen Varianten heutzutage weitläufig beliebt und zudem als subtiles Medium interessant. Denn in ihm lassen sich die verschiedenartigen Potenziale des künstlerischen, des handwerklichen und des technischen Prozesses in seltener Weise verflechten. Allerdings haben sich erst Künstlerinnen und Künstler der 1950er Jahre für die historisch eher junge Drucktechnik zu interessieren begonnen. Und tatsächlich: wenn auch die Bilder von Susanne und Werner Haas uns so gar nicht an Werke der OpArt oder der Konkreten Kunst erinnern, so haben sie mit der Arbeit eines Victor Vasarely, einer Bridget Riley oder eines Max Bill dies gemeinsam: Sie reizen unser Sehen und veranlassen uns damit zu spielen.
Ein anderer Bezugspunkt lässt sich zum zeitgenössischen Umgang mit der Fotografie als künstlerischer Technik ausmachen, wo in vergleichbarer Arbeit mit den Gegebenheiten des Apparats Bilder entstehen, deren Abbildcharakter oder motivischer Ursprung durch die künstlerischen Handlungen in seiner Bedeutung zurücksteht hinter der selbständigen Werkpräsenz.
Wie Erinnerungen als Atmosphären in uns aufsteigen, Verdichtung suchen, Umriss und Prägnanz und dann der festen Vorstellung entwischen, um wieder in jenes vage Zwischenreich zu sinken, aus dem sie unsere Aufmerksamkeit neuerlich hervorholen kann – ähnlich geschieht es mit den Bildern der vorliegenden Gruppe Zeitatmen. Man betritt den Raum und wird zuerst auf eine pulsierende oder auch eine eher ruhende Stimmung aufmerksam, auf ein federleichtes Schweben etwa oder einen melancholischen Sog oder eine feierliche heitere Gelassenheit. Findet eine Stimmung in einem eine Resonanz, mag man sich ihrer Quelle zuwenden und bemerkt Licht- und Farbkontraste, in denen der Blick nach Erkennbarem sucht. Das Bild antwortet mit Gestalten, die anonym und zugleich uns vertraut sind, sodass man es genauer wissen, mehr sehen möchte. Also tritt man noch näher – und entdeckt, während die Gestalten sich auflösen, das Bild in seiner medialen Existenz. In den Untiefen eines scheinbaren Gewimmels mutet man den rechteckigen Farbtupfern ein vibrierendes Eigenleben unter sich zu, in dem der vernünftige Blick sich verliert.
Jedes der Bilder spielt dabei seine individuelle Dynamik aus zwischen ungegenständlicher Komposition und fotografischem Abbild. Dass die Bildmotive aus dem privaten Fotoarchiv des Künstlerpaares stammen, ist für die Betrachterin belanglos, denn sie wollen uns nunmehr keine persönlichen Geschichten erzählen. Vielmehr vermitteln sie gewisse Anmutungen davon wie der Widerschein auf einer Membran, die diese unsere Sphäre von einer anderen trennt, die uns ebenso vertraut ist und die wir dennoch nicht erfassen können. Innerhalb der Werkreihe, die in der relativ kurzen Zeit von rund zwei Jahren entstand, positioniert sich jedes Bild auf einer eigenen Ebene gleichsam näher oder ferner dieser Oberfläche zwischen gegenständlicher Deutlichkeit und ungegenständlicher Farbfeldmalerei – oder anders gesagt in einem Hin und Her zwischen Vergegenwärtigung und Abtauchen, entsprechend dem wandernden Blick des Betrachters.
Innerhalb der Gruppe Zeitatmen korrespondieren Werke mit identischen Motiven miteinander durch je einmalige Farbgebungen. Wie beim tonalen Variieren eines musikalischen Motivs erfahren wir auch hier, wie eine Gestalt ihre Bedeutung grundlegend verändert, indem sie in anderem Licht erscheint. Tatsächlich entfaltet jedes Bild seine eigene Aktivität nicht allein dadurch, dass wir uns ihm nähern und uns wieder entfernen, sondern auch je nach Blickwinkel und im wechselnden Licht eines Tages oder der Beleuchtung.
Zeitatmen, Susanne Haas
Grundlage unserer Arbeiten sind Fotos aus dem digitalen Fotoalbum, die durch künstlerische Bearbeitung einerseits und durch die gewählte Darstellungsform des Siebdrucks andererseits in die Anonymisierung und Variation führen. So zeigt sich das Zeitungebundene, das immer Gültige. Zeit ist hier immerwährend.
Es ist also die Frage nach der Darstellung von Zeit (und damit auch Bewegung). Zyklische Zeiterscheinungen, – also immer Wiederkehrendes, wie der Wechsel von Tag und Nacht, hell und dunkel, der Pulsschlag, das Ein-und Ausatmen etc., werden sichtbar, – auch in der Motivwahl. Es ist ein Pulsieren, welches durch die Pixeldarstellung in unterschiedlicher Farbwahl erreicht wird. Somit entstehen rhythmisch strukturierte Bildgeflechte unserer Wirklichkeit, die sich oft klischeehaft und zeitunabhängig wiederholt.